1974/1975 Winter

Carolinum
Historisch-literarische Zeitschrift

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(40.) 38. Jahrgang Nr. 70

Inhaltsverzeichnis
  • Geschichte als Element der Gegenwart Ulrich Abraham Vortrag vor der "Historischen Gesellschaft Coburg" i. Okt. 1974. "Die Muse der Geschichte steht seit langem gesenkten Hauptes im Kreise ihrer Schwestern. Die Menschen erwarten von ihr keine Auskunft mehr". Mit diesem bezeichnenden Satz umreißt Karl Kupisch treffend die geistige Situation, in der sich ein großer Teil unserer jüngeren Generation in ihrem Verhältnis zur deutschen Vergangenheit seit dem Ende des zweiten Weltkrieges befindet. Wohl ist es richtig, wenn gesagt wird, das Leben des einzelnen beginnt mit seiner Geburt.
  • Romanische Taufsteine in mecklenburgischen Kirchen (II) Friedrich Scheven Im ersten Teil dieser Arbeit über die mittelalterlichen Taufsteine in Mecklenburg standen im Mittelpunkt die Taufsteine mit den vier Köpfen, die sich an vielen Fünten des 12. und 13. Jahrhunderts finden, nicht bloß in Mecklenburg, sondern auch in anderen Teilen Deutschlands und in den Nachbarländern. Nun sollen die mecklenburgisehen Taufsteine weiterhin unter Berücksichtigung der übrigen, für die geschichtliche und kunstgeschichtliche Würdigung wichtigen Umstände, Bildschmuck, Material, Herstellungsort usw. betrachtet werden.
  • Ida Gräfin Hahn-Hahn. Das Lebensbild einer mecklenburgischen Biedermeier-Autorin Gerd Lüpke Vor fast 100 Jahren, am 12. Januar 1880, starb in Mainz eine der bekanntesten Schriftstellerinnen ihrer Zeit: die aus mecklenburgischem Uradel stammende Gräfin Ida Hahn-Hahn, eine der farbigsten Frauenfiguren des Biedermeier. Am 22. Juni 1805 war sie im Herrenhaus von Tressow in Mecklenburg geboren worden, und es ist erstaunlich, was sie in den 75 Jahren ihres Lebens geleistet hat. Gegen die damals noch festgefügte Gesellschaft in Wort und Tat zu prostestieren, Romane darüber zu schreiben, dem zu huldigen, was man schon fast freie Liebe nennen kann - ja, für die Gleichberechtigung der Frau einzutreten und schließlich sogar vom protestantischen zum katholischen Glauben überzuwechseln ... das war für das vorige Jahrhundert unerhört. So war Ida Gräfin Hahn-Hahn eine Persönlichkeit, an der ihre Zeit nicht vorbeikam.
  • Maler unserer mecklenburgischen Heimat im 20. Jahrhundert F. F. Pingel Vortrag gehalten bei der Eröffnung der Gedächtnisausstellung in Ratzeburg (Juni 1973). Als ich das Thema "Mecklenburgische Heimat" für diese Gedächtnisausstellung wählte, da war ich mir darüber im klaren, daß man in der öffentlichen Kritik sehr schnell durch die Verbindung von Heimat und Kunst, also Heimatkunst, zu einem abwertenden Urteil bereit sein würde. Als Heimatkunst, die einige Ränge unter der großen, der abstrakten oder zeitgebundenen Kunst angesiedelt wird, versteht diese Kritik die treu und brav abgemalten heimatlichen Motive und tut solche Werke, auch wenn die Treue zum Motiv ihren tiefsten Grund in der HeimatIiebe hat, als zweit- oder drittrangig ab.
  • Goethes Ruf an die Menschen, Betrachtungen zu seinem 225. Geburtstag Babetta Gogl Wenn Plato über den Eingang seiner Akademie die Worte setzte: "Niemand trete hier ein, der nicht Mathematik gelernt hat!" so hätte Goethe über seine Tür schreiben können: "Niemand trete hier ein, der nicht Ehrfurcht vor dem Leben hat!" Von allen großen Geistesführern ist es wohl Goethe, der beru:fen ist, den Menschen den wahren Sinn des Lebens zu weisen. Blicken wir unseren Lebensweg und den der vergangenen Geschlechter des letzten verkrampften Jahrhunderts der Technik zurück, so weht uns der Hauch des Vergänglichen alles Irdischen entgegen. Steht auch das gegenwärtige Dasein stark unter den Spannungen politischer Geschehnisse, so ist der unsichtbare Kampf um die Grundlagen einer neuen und doch uralten Kultur weitaus ernster und tiefergreifender, einer Kultur als Blüte der Seelenhaltung.
  • Viktor von Strauß und die mecklenburgische Ritterschaft. Eine Denkschrift aus dem Jahre 1857 Helge Bei der Wieden Um die Mitte des 19. Jahrhunderts dürfte es nur wenige Menschen gegeben haben, die, sofern sie nicht selbst der Ritterschaft angehörten, die mecklenburgischen Verfassungsverhältnisse für zeitgemäß hielten und sich außerdem noch bemühten, sie über die Zeiten zu retten. Das öffentliche Leben beider Mecklenburg bestimmte sich noch immer nach dem Landesgrundgesetzlichen Erbvergleich von 1755, der zwar weitgehend bestehendes Recht kodifiziert hatte, aber damit die Herzöge von dem Willen der Stände abhängig hielt.
  • Familienbeziehungen zu Fritz Reuter Walter Burmeister Ich bin ja 1894 in der Reutergegend geboren und dort auch aufgewachsen. Mein Heimatort Ulrichshusen gehörte zur "Gräflich-Hahnschen-Begüterung" und somit auch zum "Ritterschaftlichen Amt Stavenhagen". Mein Vater war 1845 auf die Welt gekommen und hat noch manche Bauernhochzeit miterlebt, an der auch Editha Hahn geb. Wartensleben, Gattin des Grafen Kuno Hahn teilnahm und im Trinken und Zigarrenrauchen hinter keinem Gast zurückstand.
  • Dr. Fritz Hagemann 75 Jahre Am 27. Mai 1974 konnte Dr. Fritz Hagemann, dessen Beiträge unsere Zeitschrift mitgeprägt haben, sein 75. Lebensjahr vollenden. Väterlicherseits aus altem Bauerngeschlecht in Below an der Woblitz stammend und in Neustrelitz geboren, besuchte er von 1906 bis 1917 unser Gymnasium Carolinum, ging dann nach Waren/Müritz, wo er im März 1918 sein Abitur machte. In Deutsch, Geschichte und Erdkunde wurde er von der mündlichen Prüfung befreit. Sein Lehrer in der Neustrelitzer Unterprima hingegen hatte seine Aufsätze mit 5 zensiert!
  • "Abschied", "Frühes Leid", "Die Mutter", Drei Gedichte Fritz Hagemann Tag der Trennung: dieses Grauen! / Immer in die Leere schauen! / Wissen, was im Winter war, / Flieht im frühen Blütenjahr.
  • Verleihung des mecklenburgischen Kulturpreises an Dr. Böhmer Arthur-M. Fraederich; Otthinrich Müller-Ramelsloh Am 15. Juli 1895 in Teterow geboren, studierte Gerhard Böhmer in Göttingen und Rostock Philologie. Von 1925 bis 1932 lehrte er als Studienrat an der John-Brinckman-Schule in Güstrow, später in Teterow - bis er im Jahre 1947 in den Westen floh. In Rothenburg o. d. Tauber schrieb er eine Reihe von Gedichten und Erzählungen. Sechs Jahre später wieder als Lehrer angestellt (in Mühlheim/Ruhr), lehrte er ab 1956 bis zu seiner Pensionierung wieder als Studienrat in Warendorf/Ems, wo er heute noch wohnt.
  • Betrachtungen und Erlebnisse: Das Auge Gottes Carl Risch In dem Vorwort zu dem Buch des Amerikaners Don Widener "Kein Platz für Menschen" heißt es: "Daß der Mensch seine Umwelt gründlich zerstören und aus fruchtbaren Landschaften Wüsten machen kann" ist nicht neu. Als Beweis führt der Verfasser die Ebene Guadalquivir in Spanien und den istrischen Karst am Nordostrand der Adria auf. In der Gegenwart ist das große Problem die UmweItverschmutzung. Landschaften, Flüsse und Bäume fallen ihrem Schicksal anheim. Das ist auch in meinem kleinen Rheindorfe nicht anders.
  • Betrachtungen und Erlebnisse: Erkenntnis? H. E. Schuster-Düsterhöft Die vereinzelten Wolken am strahlend blauen Mittagshimmel ziehen sich langsam zu einem undurchdringlichen grauen und fast alles bedeckenden Vorhang zusammen. Die Natur schweigt. Schweigt sie, weil die Leben bringenden Sonnenstrahlen unterbrochen, oder setzt sie dem Menschen ein Zeichen der Besinnung? Ich kann nur ergriffen die Macht und Kraft der Weisung des Himmels erahnen, werde ich sie jemals begreifen können? Eine Windböe gleich dem Oden Gottes zerteilt die Stille des Raumes, der mich umgibt und haucht den Baumkronen ein Raumen zu.
  • Der Chalusos Potamos bei Klaudius Ptolemaios und seine Lokalisierung Helge Bei der Wieden Klaudios Ptolemaios nannte als Ostgrenze der Sachsen den Chalusos potamos. Moderne Untersuchungen weichen bei der Lokalisierung dieses Flusses nicht wesentlich voneinander ab: Steche sieht in ihm die Warnow, Stichtenoth die Meerenge zwischen Stralsund und Rügen. Die Differenz zwischen beiden Angaben beträgt nach heutiger Rechnung etwa siebzig Kilometer. An dieser Stelle sei aber auf eine weitere Möglichkeit, den Chalusos potamos zu lokalisieren, hingewiesen, weil bislang offensichtlich nach Flüssen oder Meerengen gesucht wurde, die heute aus irgendwelchen Gründen ins Auge fallen.
  • Verwunderliches [Gedicht] Heidelore Kluge Wir lachen / obwohl wir nichts zu lachen haben / reden / obwohl wir nichts zu sagen haben
  • Bücher und Buchbesprechungen
  • Uns' plattdütsch Eck "Wat is up'n Dörp los?" (IV) Fr. Rehm 'N annern Abend stünd Jehann hastig up, as hei jüst dei Nachtkost in'n Liew hard, hei särd, hei müßt noch buten Dörp hen. Hei güng räwer nah'n Katen un leihn siek von Mudde Wiedsch'n Brak un güng dormit ut'n Dur rut. Dei fräug noch achter em an wonewt hei dormit hen wull? - Hei hard äwerst gorkein Uhren. "lck sett's nahst werre rin nah'n Stall."
  • Vun den tetrowschen Häkt. Tweit Geschicht Otthinrich Müller-Ramelsloh De Tetrowschen harrn den Häkt mit de sülwern Glock to ehr fiefhünnertjohrfier richtig wedder infungen. Magistrat und Ratsherren harrn nu bisloten, datt se all Tetrowschen to dat Häkteeten inloden wöllt. Jedwereen schüll nen dägtes Stück vun den Häktbraden achter de Kusen schuben können. Allens umsüß!
  • Kroonen aewer de Lünebörger Heid [Gedicht] Klaus Giese So kloar un wied un hoch / is hüt de Häb'm. / Oe Wind weijt sacht / un spält in brunbunt Loof. / De Eckern klacken. - Aewer / mi doar sträb'm / de Kroanen furt / in grot un kielig Schoof.
  • Ferienfahrt nach Serrahn Ein alter, lieber Neustrelitzer, der seine Heimatstadt aus beruflichen Gründen schon vor etwa 50 Jahren verließ, ihr aber unvermindert verbunden geblieben ist und sie daher häufig besucht hat, schildert uns schlicht, aber doch eindrucksvoll seine Erlebnisse auf einer Fahrt nach Serrahn. Wir veröffentlichen diesen Bericht mit der vom Verfasser angefertigten Skizze vom Walter-Karbe-Gedenkstein an der ehemaligen Stätte des mittelalterlichen Dorfes Saran, weil die Lektüre bei manchem Leser sicherlich alte Erinnerungen wecken wird. Auch atmen die Zeilen spürbar die noch verbliebene Stille unserer heimatlichen Landschaft mit ihren weiten Wäldern und Seen.
  • Johannes Schondorf Bleistiftzeichnung des Hofmalers Theodor Schlöpke, angefertigt um 1865.
  • Schulhaus hinter der Stadtkirche zu Neustrelitz [Foto] früher "Höhere Töchter-Schule", aufgenommen 1974